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Der letzte Dreh

Der letzte Dreh

2009, Roman, Rowohlt Berlin

In einer Pinguinkolonie in Patagonien verbringt ein Paar die letzten Wochen des Jahres 2000. Eigentlich sind sie gekommen, um einen Dokumentarfilm zu drehen, aber hier, am Ende der Welt scheint sich das große Finale ihrer Ehe anzubahnen: der Ehe von Maria und Johan.
 Als sie sich Anfang der Achtziger kennenlernen, versucht Maria – jung, naiv und durch eine Erbschaft quälend reich – gerade, sich durch Filmemachen von der Last des Geldes zu befreien. Sie scheitert: Statt der erhofften Kapitalvernichtung bringt ihr der erste Film, an dem sie sich beteiligt, nicht nur Erfolg sondern auch Fördergelder. Johan, eine charismatische Größe in der Branche, hat eben eine bittere Niederlage erlitten. Unterschiedlicher können zwei kaum sein, doch sieht es so aus, als ob sie sich auf fatale Weise ergänzten…
Pia Frankenberg erzählt von turbulenten Dreharbeiten, aberwitzigen Familienfeiern und von dem Versuch zweier Sturköpfe, das deutsche Kino zu revolutionieren. Eine rasante Reise durch die Ära Kohl und die Abgründe einer ebenso symbiotischen wie selbstzerstörerischen Beziehung – tragikomisch und voll einfühlsamer Ironie.

 

Leseprobe


Der letzte Dreh

«Das Problem ist der Mangel an Öffentlichkeit!», hörte sie Johan schon im Flur, bevor sie mit Tüten beladen die Küche betrat.
 Zur Bekräftigung seiner Worte tippte er mit dem Zeigefinger rhythmisch auf den Tisch. Ihm gegenüber saß andächtig lauschend Robert, Johans neueste Adoption, The Thing That Wouldn’t Leave. Robert war ein kürzlich aus der DDR ausgereister Regisseur und Drehbuchautor, dessen Hauptleistung darin bestand, nachweislich einmal mit einem Dissidenten zusammengearbeitet zu haben. Sie hatten sich auf einem Symposium für Drehbuchförderung kennengelernt, an dem Johan als Redner teilgenommen hatte; seitdem gehörte Robert zu der zusammengewürfelten Schar von Getreuen, die ihm überallhin folgten: Eine endlose Karawane von Regisseuren und Drehbuchautoren aus Johans Anfangsjahren zog durch ihre Wohnung und plünderte ihren Kühlschrank, ihre Küche war der Schauplatz nächtelanger Gelage, zu deren Abschluss in den frühen Morgenstunden regelmäßig die Rettung des deutschen Films gefeiert wurde. Es gefiel Maria, dass Johan sich weigerte, Erfolglosigkeit als einen Makel zu betrachten, allerdings ging er dabei so weit, bereits im Scheitern selbst eine Tugend zu sehen. Für ihn waren die Gescheiterten wahlweise hochdekorierte Kämpfer aus einer Ära, die Gemeinsamkeit und Aufbruch bedeutete, oder Missverstandene, deren Talent unverdient der Ignoranz von Publikum und Kritik zum Opfer gefallen war.
« … und diese Öffentlichkeitsblockade muss durchbrochen werden!», dozierte Johan weiter.
« Wir müssen eine konzertierte Aktion starten!», pflichtete Robert ihm bei und aschte in ein leeres Gurkenglas.
« Ich wäre dir dankbar, wenn du es ihm nicht noch zusätzlich schwer machen würdest.»
 Maria zog ein Nikotinpflaster aus einer Tüte und legte es vor Johan auf den Tisch. Der Waffenstillstand zwischen ihm und seinen Süchten war, vorsichtig ausgedrückt, fragil. Eilig drückte Robert seine Zigarette aus. Aus dem Kinderwagen im Flur meldete sich ein Quengeln, das demnächst in ausgewachsenes Geschrei übergehen würde.

 

Lesung


Kritiken


Frankenberg feiert jenes von ihr beschworene «Kino der Leichtigkeit» in einer Sprache, die voll selbstironisch spielerischer Leichtigkeit durchleuchtet wirkt. Lose durcheinander geschnittene Szenen einer Ehe zwischen Paris Bar und Berlinale-Boheme fügen sich wie von selbst zum Puzzle eines Lebensgefühls zusammen, in dem «Zeitgeist» noch kein Schimpfwort war. Und ganz im Kontrast zu ihrem Plädoyer gegen das Narrative des traditionellen Filmplots gelingt ihr dabei eine geradezu angenehm konventionelle Liebesgeschichte voll herrlich komischer Slapstickmomente …
Berliner Zeitung

… Doch beschreibt die Autorin nicht nur den Untergang einer Ehe, sondern auch die Stimmung in der deutschen Filmszene der 80er Jahre. Mit viel Spaß an Detail und Ironie schildert sie die Protagonisten und die Diskussionen, ihre ewig gleichen Lederjacken und kühnen Ideen. «Der letzte Dreh» ist insgesamt ausgesprochen flott und pfiffig geschrieben und gibt tiefe Einblicke in die Filmszene der 80er Jahre, Kenner und vor allem Insider der Szene werden ihren Spaß haben an Frankenbergs liebevoll-ironischen Schilderungen. Die anderen lesen es ebenfalls mit Vergnügen.
NDR Kultur

Die Binnenhandlung des Romans erzählt in montierten Rückblicken die zwei Jahrzehnte, die das Paar miteinander verbracht hat bis hin zum Moment ihres Kennenlernens bei Filmdreharbeiten Anfang der 80er Jahre. Die beste Zeit des Paares war zugleich die beste, utopischste, stürmischste Zeit des deutschen Autorenkinos. Sehr plausibel und ohne erzählerische Verrenkung verschränkt Pia Frankenberg den melancholischen Hoffnungsverlust einer Privatgeschichte mit dem Energieverlust eines Stücks deutscher Filmgeschichte …
Deutschlandradio Kultur

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